24.-25.07.2009: Allschools Birthday Bash - Köln - Underground [2009]

24.11.0004
 

 

Freitag

Unser geliebtes Allschools wird also 12 Jahre alt. Happy Birthday! Sowas muss natürlich gefeiert werden und schnell steht ein Line-Up auf den Beinen, welches seines Gleichen sucht. Und das in Köln. Ob das funktioniert? Oh Ja!

So sind für den Freitag mit KINGDOM und GLASSES zwei nationale und mit SHIPWRECK und RISE AND FALL zwei internationale Bands vertreten, die allerdings allesamt im Schatten einer einzigen Band stehen. HAVE HEART. Diese spielen heute ihr letztes Deutschlandkonzert bevor sie sich auflösen und das will niemand verpassen. Demnach hängt das Sold-Out Schild recht flott vor den Türen des Undergrounds und gut 400 Leute feiern ihre Helden aus Boston ab. Aber alles der Reihe nach.

Der Tag beginnt für mich mit SHIPWRECK. Die Band, die wohl in Zukunft niemals über sich hinauswachsen wird und der der ewige Supportslot bleibt. Und das zu Recht. Lustlos und größtenteils ohne wirkliche Energie brettern die Herren ihr Set durch und lassen den Eindruck entstehen, als sei das bloß Pflichtprogramm für sie. Nach einer halben Stunde ist damit dann Schluss und RISE AND FALL stehen auf der Bühne.

Die spielen gleich das genaue Gegenteil von SHIPWRECK auf und ziehen eine kleine Masse von Fans komplett in ihren Bann. So liegt das neben der energischen Performance der restlichen Band hauptsächlich an der kraft- und druckvollen Stimme von Sänger Björn. Seiner Stimme mutet Björn nämlich einiges zu, schreit so intensiv wie keine Band an diesem Wochenende und projiziert eine angenehme Wut ins Publikum, welches an manchen Stellen sehr wohl etwas mehr Stimmung zu Tage legen könnte.

Dass HAVE HEART solche Probleme nicht haben sollten, war von Anfang an klar, dass es aber so ausarten würde, hätte wohl niemand gedacht. So erklingen die ersten Töne von "Lionheart" und schon steht der angespannte Mob Kopf. Patrick Flynn und seine, größtenteils ausgetauschten, Mannen zeigen sich zwar energisch, jedoch ist es immer wieder schade, wie wenig man den Hardcorebands ansieht, dass sie Spaß am Gig haben. So spart Flynn lange Reden zwischen den Songs fast gänzlich und konzentriert sich größtenteils auf die Songs von "The Things We Carry". Die wird fast komplett gespielt und sorgt natürlich für die meiste Beteiligung im Publikum. Aber was heißt das schon, wenn bei fast jedem Song die Grenze zwischen Band und Publikum so verschwimmt, wenn die Bühne nicht mehr zu existieren scheint und über 200 Leute ein letztes Mal nach dem Mirko von Flynn flehen. Natürlich: Das war bei wohl jedem Have Heart Gig in den letzten Jahren so, aber heute ist tatsächlich ein würdiges Highlight geschaffen worden. Leute türmen sich fast 4(!!)fach und gelegentliche Headwalks scheinen gar nicht zu stören. Das Publikum gibt sich alle Mühe und Flynn rechnet es ihnen, zumindest bei "Watch Me Sink" in einem kurzen Augenblick, hoch an.

Der Abriss ist allerdings komplett, als HAVE HEART "Watch Me Rise" anspielen. Im Mittelteil wird die Bühne endgültig gestürmt und Flynn komplett überrannt. Ich wette, nicht nur die Band bangte um sich. Dass aber auch diese Bühne mal voll ist, sieht man recht schnell. Viele Fans fallen von der Bühne in den eigentlichen Konzertraum, reißen andere mit und veranstalten dadurch eine extrem gefährliche Situation. Glücklicherweise ist der Song schnell zu Ende und die Sache kann entschärft werden. Das war es. HAVE HEART. Das Kapitel ist geschlossen, die meisten tingeln schon jetzt aus dem Raum. Plötzlich ist schön viel Platz vor der Bühne und Flynn spielt einen letzten Song. Wieder rasten alle aus, diesmal in angenehmerer Atmosphäre und dann war es das endgültig. Ein würdiger Abschied, ein würdiger Geburtstag. Danke HAVE HEART, Herzlichen Glückwunsch Allschools.



Raphael

Samstag

Die Ibbenbuerener STORM & STRESS hatten die Ehre, den Samstag des ALLSCHOOLS BIRTHDAY BASH`s zu eröffnen. Und tatsächlich kamen Band und Publikum gleichermaßen zu Ehren. Sänger Bastian Schröer und seine hervorragend eingespielte Truppe provozierten zwar weniger körperlichen Publikumszuspruch, erntete jedoch gleich mit dem ersten Song nickende Anteilnahme und Respektsbekundungen. Dem rollenden Groove von STORM & STRESS gegenüber aufgeschlossen schaukelte sich das Publikum langsam auf Betriebstemperatur. Vereinzeltes Fingerpointen, Mitsingen und Kopfnicken markierte das Erreichen des nötigen Energielevels, welches in der Folge die schönen Erruptionen dieses Tages zwischen Bands und Publikum freisetzte. In diesem Zusammenhang assoziiert man die Rotzfetzen des extrem engagierten Sängers von STORM & STRESS leicht mit dem berühmten Tropfen auf den heißen Stein, denn abgekühlt wurde von hier an nichts mehr. Egal wieviel Körpersäfte flossen.

Während des raschen Umbaus kündigte Torben den umstehenden Redakteuren STILL SCREAMING als "Sport-Core" an, ein Label, dass sich die Band auch selbst draufpackt (siehe Homepage: www.stillscreaming.de). Entsprechend gewarnt und Schlimmes erwartend ließen sich erste Assoiationen bestätigen: L.A.-Style-Socken-Massaker, Bandanas, Basketball-Hemdchen, freie Oberkörper und eine Bühnenshow, für die man durchaus die ein oder andere Volleyball-Einheit hinter sich haben muss. Die Band, bestehend aus Ex-Mitgliedern von BRIGHTSIDE, SHAFT, SKYZ THE LIMIT und POINTBREAK, lässt das Zeichnen von Verbindungslinien in Richtung Sportuniversum durchaus zu. Drummer Adam scheint früher einmal intensiv diesen Eis-Schrubber-Sport betrieben zu haben. In jedem Fall gehen ihm schnelle Bewegungen und Präzision leicht von Hand und Fuß. Die sich abwechselnd in Rage treibenden Sänger Matzo und Dennis dürften in der Vergangenheit Tennis-Spezialisten gewesen sein, denn es hagelt Schläge in die Luft die mich schauern machen, dieses Review auch wirklich abzuschicken. Aber mal im Ernst. Die Vorbehalte gegenüber toughem Auftreten und betont männlicher Performance können die fünf Herren schlussendlich zumindest stark abschwächen, wenn nicht sogar völlig ausräumen, machen sie doch durch ihre Ansagen deutlich, dass unfaires oder gar brutales Verhalten nicht von konzertleitendem Interesse oder in ihrem Sinne ist. So macht es gleich viel mehr Spaß die zwar nicht sonderlich innovativen, aber trotzdem extrem spaßigen und effizienten Moshparts mitzunehmen. Gut, die etwas halbherzige Rap-Einlage von Schlagzeuger Adam hätte nicht unbedingt sein müssen, wurde aber ebenfalls autoreflexiv-kritisch von selbigem kommentiert. Alles in allem ein amüsanter, wenn auch primär kurzweiliger Auftritt.

GOLDUST aus Münster, so ließe sich konstruieren, fungierten an diesem Abend als Scharnier zwischen den traditionellen, oldschooligen Spielarten von Hardcore und eher neueren, vertrakteren Destillationen des Genres. Wichtige Stichwörter, die im Zusammenhang mit GOLDUST beim ALLSCHOOLS BIRTHDAY BASH in den Kopf schießen: "Clevo", "Integrity", "Angepisstheit", "Mittelfinger". Der an sich extrem geile, glaubwürdige, unterhaltsame und roughe Auftritt der Band wurde jedoch neben vielen guten Aspekten von einem etwas seltsamen Umgang mit dem Publikum etwas getrübt. Ihr Shouter scheint einer der mittlerweile recht rar gesähten Typen zu sein, dessen Abgefucktheit kein Showelement, sondern Teil oder Ausdruck seines (temporären) Wesens ist. Soweit so gut. Gleichzeitig wurde man aber bisweilen den Eindruck nicht los, dass hier die Selbstauffassung als "Künstler" ein bisschen zu weit ging. Denn ins Publikum zu starren und danach den Mittelfinger zu flippen kann - entsprechend vorgetragen - zündendes Showelement sein, an diesem Samstag war`s allerdings eher eine bezugslose, also unverknüpfte Unhöflichkeit, die einige im Publikum nicht zu deuten wussten, wie sich schnell zeigte. Klar, es ließe sich jetzt sagen: was soll`s, war doch `ne super Show, es geht um die unmittelbare Artikulation von Emotionen gleich welcher Färbung usw. Aber so bezugslos? Positiv aufgefallen ist die Band aber wiederum durch ihre (visuelle) Gesamterscheinung, welche die offensichtliche Horizont-Breite und Vielseitigkeit, auch der Musik von GOLDUST, nochmal schön illustrierte. BLACK SABBATH- neben HÜSKER DÜ-Shirt, Metal neben Hardcore, Hänfling neben Pfundskerl - so und nicht anders lässt es sich wohl fühlen! Alles in allem also ein extrem mitreißender, aufreibender und durch und durch ansprechender Auftritt.

Im Vergleich zu GOLDUST verlief der Auftritt von COBRETTI aus Köln eher kontinuierlich-solide, vielleicht auch ein wenig vorhersehbar. Und obwohl Köln und sein Publikum dafür bekannt sind, es mit den "eigenen" Bands besonders gut zu meinen, hat man COBRETTI durchaus schon mit mehr Publikumszuspruch erlebt. Trotz Kontinuität in Sachen Moshpit und Sing-Alongs konnte die Band in heimischen Gefilden schon durchaus größere Erfolge feiern. Bis auf vereinzelte Ausbrüche (des Publikums) schlägt die Musik von COBRETTI nicht vollends durch, wobei es nicht an der Band gelegen hat.

Richtig geknallt hat es an diesem Abend eigentlich erst mit AYS ("Against Your Society"), die eine verdammt tighte, schön angepisste Show hinlegten. Entsprechend ließ sich auch das Publikum zum Mitschreinen, moshen und abfeiern hinreißen, und es war eine Freude dabei zuzusehen und mitzumachen. Witzigerweise ließen sich an diesem Abend noch die Anfänge dieser Band aus Erinnerungsfragmenten einer Show in Herzogenrath bei Aachen rekonstruieren, die eigentlich in keinem krasseren Kontrast zum Status Quo der Band stehen könnten. Dort trat Sänger Schomma, heute fast schon überbetont angepisst, noch mit Gummihuhn am 2-Saiten-Bass auf und wirkte eher unsicher und bei weitem noch nicht so bühnenerfahren wie heute. Ein seltsames Bild, das in der Bemühung der Vergangenheit entsteht. Alles in allem ein fetter Auftritt der Band aus Wegberg, wobei mir persönlich die Ausführungen a la "Hardcore-Shows sind mein Zuhause" etwas zu weit in den Pathossumpf führten. Fettes Ausgleichs-Plus: das "Fix Me" (BLACK FLAG) Cover in der Mitte ihres Sets, bei dem es stagedive-technisch gut abging.

Die Amis von THE EFFORT genießen ja hierzulande einigen Respekt, wobei mir selbst nach ihrem gefeiertem Auftritt im Underground an diesem Abend schleierhaft bleibt, warum. Denn eigentlich war es das Publikum, welches den Auftritt von THE EFFORT sehenswert machte. Es wurde viel und ekstatisch mitgesungen, gestagedivet und sich in Extase getanzt. Der einzige, der auf Seite der Band Party machte und versuchte was rauszuholen, war Sänger Tony. Der Rest der Truppe schien leider etwas angeschlagen zu sein, spielten sie ihren 90er Youth-Crew-Stil relativ gelangweilt und unenergetisch in die Halle.Vielleicht kam das Hangover-Gefühl vom etwas zerütteten Bandgefüge, denn immerhin suchen THE EFFORT neue Mitglieder am Schlagzeug und an der Gitarre. Besser wurde das Rezeptionsgefühl, als Sänger Tony auf die Gefahren von Werbung, Konsum und Gesellschaft aufmerksam machte.

Im Anschluss an der Straight Edger von THE EFFORT zeigten BLACK FRIDAY 29, dass Ruhrpott nicht gleich Pumphose sein muss und obendrein auch Spaß bedeutet. Von der ersten Note war die Menge bei der Stange, es wurde permanent mitgesungen und das Stagediven nahm gar kein Ende mehr. Richtig wüst wurde es, als Sänger Björn eine regelrechte Stagedive-Orgie anzettelte und die Bühne und alles davor unter einem glücklichen, schwitzenden, keuchendem Berg Menschen zu versinken drohte. Vom pragmatischen Witz und der Direktheit der Ansagen ebenso angesteckt wie von der energetischen Überzeugungskraft der Truppe schwelgte das Publikum förmlich in HC-Fröhlichkeit. Den absoluten Lacher landete zudem der Bassist von BF 29, als er seinem Cousin "Kevin" einen Song widmete und ihm attestiert, der einzige in seiner Familie zu sein, der kein Idiot ist. Witzig. Gleich im Anschluss wurden alle Kevins und Justins auf die Bühne gebeten. Was will man mehr, wo es mit "Kill This Dream" noch einen mehr als würdigen Abschluss ihres Sets gab?

ANCHOR spielten ein routiniertes Set, wobei die Schweden ebenfalls einen etwas müden Eindruck machten. Dennoch ließ es sich das Publikum nicht nehmen alles was ging mitzunehmen und die Band ein wenig aufzuwecken.

Als RITUAL die Bühne betraten, war von der Arroganz, die der Band mitunter attestiert wird, nichts zu spüren (vgl. z.B. Allschools-Review-Kommentare zu "Beneath Aging Flesh And Bone"). Ebensowenig und deshalb hatte das Publikum keinen Grund für Vorbehalte gegenüber der Band, und so ist es ein Leichtes für Julian, Deni, Pascal und Philipp mit Spielfreude und Energie ein fettes Set zu eröffnen. Im Zuge dessen wurde der SURVIVER-meets-HOPE CONSPIRACY-Sound von RITUAL als legitimer Partyanlass genommen. "Somewhere In The Rain" geronn in der Retrospektive zu einem der Highlights im RITUAL-Programm, peitschte das Anfangsriff die Meute schließlich zu Pit-Höchstleistungen und frenetischem Mitgröhlen. Selbst der Allschools-Kameramann kam nicht umhin auf seinem Podest ordentlich mitzurocken. Alles in allem eine willkommene Abwechslung zum Rest des Abends.

Mehr als einen würdigen Abschluss des ALLSCHOOLS BIRTHDAY BASH`s legten CARPATHIAN aus Melbourne, Australien hin. Ihr vor fetten, mitsingbaren Zeilen und knüppelnden Songs nur so strotzendes Set bildete den würdigen Climax für einen hervorragenden Abend. Auffallend: Eine ganze Riege Frauen bot den Herren im Moshpit ganz vorne souverän die Stirn und erkämpfte sich einen festen Platz im Schmelztiegel des Underground. Auch in Sachen Textsicherheit brauchten sich die Damen nicht zu verstecken - da saß jede Zeile. Martin, Sänger und Frontmann von CARPATHIAN leitete mit charmantem Understatement durch ein überzeugendes, tightes Programm, welches die Highlights des "Isolation"-Albums nebst älteren Songs zu einer schönen Gesamtheit bündelte. Hier wurden zum Schluss die letzten Reserven mobilisiert, und selbst nach neun Bands zeigte die Hörerschaft bei der neunten so gut wie keine Ermüdungserscheinungen. Schade war allerdings, dass das JOY DIVISION-Cover (fast) ins Leere ging. Aber immerhin konnte Redakteur Raphael zeigen, dass dem Allschools-Publikum und -Kader auch alte Klassiker nicht abgehen.

Dem Schwerpunkt des ALLSCHOOLS-Netzwerks entsprechend wurde das 12jährige Jubiläum des selbigen mit einem Haufen verdammt guter Hardcorebands begangen. Betont werden soll an dieser Stelle noch einmal, was jedem, der vor Ort war, ohnehin schon aufgefallen sein sollte: Die gute Stimmung bei Bands und Publikum, das nahezu ausschließlich friedliche Miteinander über zwei Tage hinweg sowie die alles in allem runde Organisation und das hervorragende vegane Essen. Das klingt jetzt zwar nach Selbstbeweihräucherung, aber was soll`s. Wer anderer Meinung ist kann sich gerne, entsprechend der besten ALLSCHOOLS-Tradition, in einem gigantischen Rattenschwanz aus Kommentaren dazu auslassen. Was außerdem als Plus verbucht werden kann ist, dass endlich einmal eine Gelegenheit geschaffen wurde, die sonst nur als Usernamen im WWW Versammelten unter einem Banner zusammenzubringen. Dieser war, ist und wird in erster Linie sein: Die Musik. Angeschlossen bleiben aber die Peripherieerscheinungen wie eben das ALLSCHOOLS-Magazin, welches es (endlich!) geschafft hat, selbst Musik und Event zu werden. Ob es dabei jetzt hochgradig innovativ oder doch eher traditionell und gediegen zuging, ist meines Erachtens nach von eher sekundärer Bedeutung. Denn manchmal scheint es so, als würde bei all dem Rezensieren, Geposte, Interviewen und Internet-Gedisse vergessen, worauf all die Pixel, Meinungen, Links und Myspace-Profile eigentlich hinweisen. Das ALLSCHOOLS BIRTHDAY BASH hat an den letzten beiden Tagen aber daran erinnert, und das war wichtig.

Sebastian K.

Galeries:

Freitag:
Have Heart
Rise And Fall
Shipwreck A.D.
Kingdom (De)
---
Have Heart II
Rise and Fall II
Shipwreck A.D. II
Kingom (De) II
Glasses II

Samstag:
Carpathian
Ritual
Anchor
Black Friday 29
The Effort
Against Your Society
Cobretti
Goldust
Still Screaming
Storm And Stress